Ist Zeit das, was man an der Uhr abliest?

Ist Zeit das, was man an der Uhr abliest?

Interview: Susanna Stalder, Fotos: Adrian Moser

Von Zeitmessern, Zeitdruck und zeitlosen Büchern: Ein Gespräch mit Annette Weber, Inhaberin und Geschäftsleiterin des Thuner Verlags Werd & Weber. Das Uhrenmuseum Oberhofen am Thunersee bildet die passende Kulisse dafür.

Annette Weber, um uns herum ticken die Uhren. Ist Zeit für Sie das, was man an der Uhr abliest?

Ja, absolut, ich richte mich stark nach der Uhrzeit. Es ist mir wichtig zu wissen, wie spät es ist.

Trotzdem stimmt doch oft die Uhrzeit nicht mit dem eigenen «Zeitgefühl» überein. Wann haben Sie das Gefühl, die Zeit verfliegt?

Im Geschäft rennt die Zeit eigentlich immer davon. Es gibt auch Tage, an denen man nicht alles unter einen Hut bringt, an denen sich alles nach hinten verschiebt. Privat ganz einfach dann, wenn es schön ist.

Und wann schleicht die Zeit?

Bei lähmenden Sitzungen und bei Zahnarztbesuchen.

Als Verlagsleiterin haben Sie bestimmt viele Sitzungen.

Nein, ich vermeide soweit möglich. Einmal pro Monat habe wir eine Lektoratssitzung, in der wir alle laufenden Buchprojekte besprechen und die Vergabe der Arbeiten planen. Ansonsten machen wir intern 10- bis 15-minütige bilaterale Besprechungen, oft im Stehen. Natürlich: Wenn ein Autor zum ersten Mal mit uns zusammenarbeitet, braucht es einen intensiven Austausch an einer Sitzung, um alle Fragen zu klären.

Wie sieht ein gewöhnlicher Arbeitstag bei Ihnen aus?

Es gibt einen klaren Einstieg: Ich lese alle neuen Mails, erledige sie soweit möglich und mache auch gleich die tägliche Administration. Nach diesen Arbeiten sieht jeder Tag anders aus. Ich reagiere auf Terminanfragen und Anliegen von Mitarbeitenden, Autoren und Geschäftspartnern, die mich morgens erreichen.

Im Geschäft rennt die Zeit eigentlich immer davon.

Annette Weber, Inhaberin und Geschäftsleiterin des Thuner Verlags Werd & Weber.

Für welche Aufgaben nehmen Sie sich besonders viel Zeit …

Für die Auswahl von neuen Buchtiteln sowie für Auswertungen der Buch- und Zeitschriftenbranche: Wie entwickeln sich die Umsätze, was läuft besser, was weniger gut, wie stehen wir im Marktvergleich da.

… und wofür ist Ihnen die Zeit zu schade?

Für administrative Arbeiten. Wir leben weitgehend das «papierlose Büro» und erledigen die Administration möglichst effizient. Denn man lässt sich schnell von ihr verschlingen.

Ein Gespräch mit Annette Weber, Verlagsleiterin Werd & Weber Verlag

Inwiefern beschäftigt Sie das Thema Zeit ganz generell?

Etwa im Hinblick auf die Zukunft: Wie planen wir unsere Strategie und Ausrichtung? Wie viel Zeit bleibt uns noch, ist Kontinuität wichtiger als Veränderung? Mein Versuch ist es stets, Abläufe einfach zu halten und Überflüssiges zu reduzieren, nach meinem Motto: «reduce to the max».

Viele beklagen sich über Zeitdruck. Andere empfinden ihn als motivierend. Wie stehen Sie dazu?

Ich habe keine Mühe damit. Schon in meinem ersten Job im Berner Warenhaus Loeb hatte ich oft grossen Zeitdruck, das gefiel mir gut; und er ist mir stets ein Antrieb.

Der Takt der Bucherscheinungen aus Ihrem Verlag ist beeindruckend: über 120 Neuerscheinungen jährlich, dazu Zeitschriften und Lokalanzeiger. Wie schafft man das?

Dieser Takt ist aufgrund der geringen Margen im Buchgeschäft nötig. Auch bin ich dafür verantwortlich, dass alle meine Mitarbeitenden gut ausgelastet sind.

Wie lange dauert es von der Idee bis zum fertigen Buch?

Ungefähr ein Jahr. Zwei Drittel der Bücher initiieren wir selbst. Das heisst, wir suchen das Thema und den Autor oder die Autorin und fragen diese an.

Ich arbeite nach dem Motto reduce to the max. Zeitdruck ist mir stets ein Antrieb.

Annette Weber, Inhaberin und Geschäftsleiterin des Thuner Verlags Werd & Weber.

Sie scheinen ein gutes Gespür für aktuelle Trends zu haben, wie beispielsweise der Erfolg der Alpbeizli-Führer oder diverser Biografien zeigt. Wie merken Sie, dass die Zeit «reif» ist für ein bestimmtes Thema?

Ich lese rund eine Stunde täglich. Diverse Tages- und Wochenzeitungen, Illustrierte, sowohl online wie auch gedruckt. Ich überfliege sie eher, merke aber rasch, wenn ein Thema immer öfter zur Sprache kommt. Auch die Auswertungen der Verlagsbranche helfen Trends zu erkennen.

YELLOW-Redakteurin Susanna Stalder im Gespräch mit Verlagsleiterin Annette Weber am Thunersee

Ein Buch bleibt – und zwar viel länger als wir.

Annette Weber, Inhaberin und Geschäftsleiterin des Thuner Verlags Werd & Weber.

Die Herstellung eines Buches braucht Zeit – wie auch die Lektüre. Digital geht schneller. Sind Bücher überhaupt noch zeitgemäss?

Auf jeden Fall. Und ganz wichtig: Ein Buch wird nicht überschrieben. Es bleibt – und zwar viel länger als wir. Übrigens wird von jedem unserer Bücher ein Exemplar in der Schweizerischen Nationalbibliothek aufbewahrt.

Sie glauben also an die Zukunft des Buches.

Ja, denn das Buch ist das Prime-Printprodukt. Und wir alle sind seit der Jugend geprägt von Büchern, auch diejenigen, die wenig oder gar nicht lesen. Dass sich zum Beispiel junge Eltern aktuell für die Kinderbuchklassiker interessieren, freut mich sehr. Ein solches «zeitloses» Buch ist für mich «Heidi» von Johanna Spyri, von dem wir die Originalfassung in Leinen und mit Goldprägung herausgeben. Auch betonen gerade junge Leute oft, dass sie das Haptische an Printprodukten schätzen. Dazu passt, dass es einen Trend zu veredelten Büchern gibt.

Zur Person

Annette Weber ist Inhaberin und Geschäftsleiterin der Werd & Weber Verlag AG, Thun, und beschäftigt 25 Mitarbeitende sowie einige Freischaffende. Der Verlag wurde 1991 als Weber AG Verlag gegründet und übernahm 2013 den Werd Verlag Zürich. Die Werd & Weber Verlag AG gibt in erster Linie Sachbücher und Zeitschriften in den Themenfeldern Genuss, Freizeit, Wandern, Natur und Persönlichkeiten sowie einige offizielle Mitteilungsblätter der Region Thuner- und Brienzersee heraus.