Oscar Camenzind trinkt Kaffee (© Maurice Haas)

Oskar Camenzind Der Radweltmeister erzählt seine Geschichte und spricht über seine Leidenschaft.
Oskar, wir treffen dich hier in Gersau. Wie sieht dein Arbeitstag aus?
Mein Tag beginnt früh – meist um sechs Uhr. Ich starte in Brunnen, bereite alles vor und fahre dann nach Gersau, entweder mit dem Auto oder dem elektrischen Zustellfahrzeug.
Ein kalter Morgen mit heftigem Regenfall im niederländischen Valkenburg im Oktober 1998 − dieser Tag machte dich zum Radweltmeister. Wie steht man am Morgen auf, wenn man spürt, dass dieser Tag das ganze Leben verändern kann?
Mein Umfeld sagt heute noch, dass ich an diesem Tag eine besondere Ruhe und Selbstsicherheit ausgestrahlt habe. Ich hatte mir gesagt: Wenn nicht heute, dann nie! Kälte und Regen waren mein Terrain – da hatte ich gefühlt einen Gang mehr als die anderen. Viele Fahrer litten unter den Bedingungen, für mich war es das perfekte Rennen.
Die Spitze zu erobern sei einfacher, als die Spitze zu halten, heisst es oft. Wie hast du das erlebt?
1998 war mein Jahr – ich gewann nicht nur die WM, sondern anschliessend auch die Lombardei-Rundfahrt. Doch 1999 änderte sich alles. Plötzlich war ich kein Aussenseiter mehr, alle schauten auf mich. Jeder meiner Angriffe wurde gekontert, die Konkurrenz war auf mich eingestellt. Medien, Sponsoren und Erwartungen – es prasselte alles auf mich ein. Ich hätte mehr abblocken sollen. Damals habe ich diesen Druck unterschätzt.
Was tust du, wenn die Motivation fehlt? Gibt es Tage, an denen das Feuer einfach nicht brennt?
Klar, jeder hat solche Tage. Als Weltmeister ging ich oft auf dem Zahnfleisch. Die meisten Rennen gewinnst du nicht, das gehört dazu. Wichtig ist, aus Fehlern zu lernen. 1997 hätte ich die Tour de Suisse gewinnen können, habe aber eine falsche Entscheidung getroffen. Das passierte mir 2000 nicht noch einmal – da habe ich sie geholt. Aus Niederlagen muss man lernen – gerade im Sport ergibt sich eine Gelegenheit nicht einfach so wieder. Ich habe gelernt, den Moment zu packen.
Vom Radsport zur Schweizerischen Post – wie kam es zu diesem Wechsel?
Ich bin in Gersau aufgewachsen und habe meine Lehre bei der Post gemacht. Nach meiner Sportkarriere hörte ich beim Kaffee, dass sie Personalnot hatten. Im Scherz meinte ich: Dann müsst ihr mich halt zurückholen! Wenige Tage später rief der damalige Posthalter an: Wann willst du anfangen? Und so war ich wieder da.
Und zuletzt – was macht dir an deinem heutigen Beruf am meisten Freude?
Ich behalte das Interesse an allem um mich herum. Ich schätze die Nähe zu den Leuten hier. Und dass man sich auch mal Zeit für einen Schwatz nimmt. Das finde ich das Schöne an meinem Beruf, und ich höre mir auch mal ein Problem an. Der Pöstler wird hier noch geschätzt – das gefällt mir.

Zur Person
Oskar «Ösi» Camenzind wurde 1996 Profi-Radrennfahrer. Sein grösster Erfolg gelang ihm 1998, als er in Valkenburg Weltmeister wurde. Im selben Jahr gewann er die Lombardei-Rundfahrt und wurde zum Schweizer Sportler des Jahres gekürt. Weitere Meilensteine seiner Karriere waren der Gewinn der Tour de Suisse 2000 sowie der Triumph bei Lüttich–Bastogne–Lüttich 2001. 2004 beendete er seine Laufbahn nach einer positiven Dopingprobe.