Erfolgsrezept Zeit

Erfolgsrezept Zeit

Text: Kerrin Nausch, Fotos: Sven Germann

Sieben Backstuben und Verkaufspunkte, über 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, satte Umsätze, Tendenz steigend. Und das alles, weil er seinem Sauerteig ganz viel Zeit gibt. Wie tickt der «John Baker»-Chef Jens Jung, der den für ihn vorbestimmten Weg verlassen hat, um seinen eigenen zu gehen? Eine Erfolgsstory, die mit einem Familienstreit begann.

Es ist 6.30 Uhr an einem Januarmorgen und noch stockfinster. Im Ladenlokal der Bäckerei «Jung – inspiriert von John Baker» am Klusplatz in Zürich brennt schon Licht. Es duftet verführerisch nach frisch gebackenem Brot. In der gut fünf Meter langen Glasvitrine warten alle Arten von Brötchen und Broten, dazu Brioches, Butterbrätzeli und Nussgipfel auf die ersten Kundinnen und Kunden. Ganz rechts in der Ecke steht das Herzstück der Backstube, ein majestätischer Holzofen. Aus groben Steinen gemauert und mit vier Quadratmetern drehbarer Backfläche. Am Arbeitstisch mitten im Laden formt Jens Jung, Gesicht, Namensgeber und Gründer des erfolgreichen Bäckereibetriebs, soeben den letzten Teigklumpen zu einem der legendären Ruchbrote.

Ich hatte keine Zeit mehr zu warten. Wer wartet, wird bequem und erreicht am Ende nichts.

Jens Jung, «John Baker»

Genau das ist der eine Teil des grossen Erfolgs von «John Baker»: Die Kundinnen und Kunden können zuschauen, wie gebacken wird. Der zweite Teil ist der Sauerteig, der hier mit bis zu 48 Stunden sehr viel Zeit zum Gären bekommt, bis er zu erstklassigem Bio-Brot wird. So erstklassig, dass «John Baker» inzwischen zu Zürichs Vorzeigebeck avanciert ist.

Jens Jung in seiner Backstube

Dicke Luft

Eine Erfolgsgeschichte, die auf den ersten Blick nicht überrascht. Entstammt Jens Jung doch einer Bäckerfamilie, die Liebe zum Sauerteig wurde ihm also bereits in die sprichwörtliche Wiege gelegt. Alles, was er über das Handwerk weiss, hat er von seinem Vater, Bernd Jung, gelernt. Um die wirtschaftlichen Herausforderungen des teilweise bis zu sechs Verkaufsstellen umfassenden väterlichen Betriebes zu stemmen, bildet er sich kaufmännisch weiter. Zwölf Jahre arbeiten Vater und Sohn Seite an Seite. 2013 soll und will Jens Jung den Betrieb übernehmen. Er will endlich etwas verändern, persönlich etwas erreichen. Aber der Senior kann einfach noch nicht loslassen. Es kommt zum Streit. Jens Jung macht einen radikalen Schnitt, gibt die sichere Zukunftsperspektive auf und verlässt die väterliche Bäckerei: «Ich hatte keine Zeit mehr zu warten. Wer wartet, wird bequem und erreicht am Ende nichts.»

Wir müssen uns nicht Bio auf die Fahne schreiben. Wir machen es einfach.

Jens Jung, «John Baker»

Wenige Monate später startet er neu durch. Mit einem ganz neuen Konzept. Aber im selben Handwerk. Er eröffnet seine erste «John Baker» Backstube. Mitten in Stadelhofen, ausgerechnet da, wo vorher die Filiale einer grossen Discountbackkette in Konkurs gegangen ist. Er setzt um, was er bei seinem Vater gelernt hat: Gute Rohstoffe, längere Gärzeiten, ein kleines, aber handgemachtes Sortiment. Aber er tut es noch konsequenter. Ins Brot kommen bei ihm nur noch ökologisch nachhaltige Grundprodukte. Alles ist biozertifiziert. Der 47-jährige hängt das jedoch nicht an die grosse Glocke: «Wir müssen uns nicht Bio auf die Fahne schreiben. Wir machen es einfach.»

Der Volksbäcker

Er macht das aus Überzeugung, nicht weil Bio gerade Trend ist. Jens Jung war bis zu seinem 30. Geburtstag überall auf der Welt unterwegs und hat während seiner Reisen viel erlebt. Das hat sein Bewusstsein, wie man mit Lebensmitteln umgehen und was man essen sollte, verändert. Als Unternehmer sieht er sich auch in der Verantwortung. Für die Umwelt und nachfolgende Generationen.

Er findet, Bio sollte normal sein, nichts was sich nur wenige leisten können. «Ich will kein überteuerter Bäcker für die Elite, sondern der Volksbäcker für alle sein», so Jens Jung.

Der Plan, in der mehr und mehr auf Effizienz geprägten Branche auf Qualität und viel Zeit zu setzen, geht auf. Immer mehr Menschen denken wie Jens Jung, und «John Baker» ist von Anfang an auch wirtschaftlich ein Erfolg. Inzwischen ist auch der Familienfrieden im Hause Jung wiederhergestellt. Im Frühling 2018 hat Jung Senior seine drei Verkaufsstellen an den Junior übergeben. Nicht nur dessen hervorragende Bilanzen haben ihn überzeugt. Er hat verstanden, dass sein Sohn seinen eigenen Weg gehen musste. Und ist heute sehr stolz auf ihn.

Ach, du liebe Zeit!

Die Zeit ist eine ganz schöne Diva. Sie rennt oder rast. Dann läuft sie wieder. Sie ist knapp. Sie ist kostbar. Und manchmal weiss man nicht, wo sie geblieben ist. Fünf Jahre Lebenszeit gehen zum Beispiel allein fürs Warten drauf. Auf den Bus? Auf besseres Wetter? Auf einen Heiratsantrag? Eine Auswahl von spannenden Daten und Fakten zum Thema Zeit.

Wie läuft’s?

Achtung, Schnelldurchlauf: Zwischen 1994 und 2009 hat das Schritttempo in Städten um 10 % zugenommen. In Singapur gehen die Einwohner sogar 30 % schneller.

Achtung, Fertig, Los!

Heutzutage setzt sich alles schneller durch, sogar Technologien. Brauchte das Radio noch lange 38 Jahre, bis es 50 Millionen Menschen erreichte, dauerte es beim Internet nur noch sportliche vier.

Jetzt aber schnell!

Wofür sich Menschen gerne mehr Zeit genommen hätten, wenn sie ihr Leben Revue passieren lassen? 52 % Reisen & Abenteuer, 30 % Freundschaften, 9 % berufliches Engagement.